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Kleine Nomadin

Zuhause in der ganzen Welt.

Chile

W wie Wildnis im Torres del Paine.

22

Ich schaue auf die orangene Fläche über mir und hören die Regentropfen auf den dünnen Planen aufschlagen. Wie ein Trommelwirbel der Natur. Ab und zu streicht eine Windböe durch den uns umgebenden Wald. Breitet sich wie eine Welle aus, schwappt von links über unser Zelt hinweg, nach rechts, bis ich irgendwann nur mehr ein entferntes Rauschen höre. Bis zur nächsten Welle. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal in einem Zelt geschlafen habe. Ich weiß nur, dass ich es nicht sonderlich mochte. Ich ziehe den gemieteten Schlafsack über meine Wangen, drücke meinen Rucksack und meine Daunenjacke, die ich als Kopfpolster verwende, zurecht und schließe die Augen. Meine Füße fühlen sie schwer an. „Einmal noch!“, motiviere ich sie in Gedanken. Es ist die letzte Nacht im Torres del Paine, morgen der letzte Trek unseres fast vollständigen W-Treks. Bevor ich einschlafe, spule ich noch einmal alle Bilder ab, die ich in meinem Kopf bisher gespeichert habe.

T wie Torres.

Um 8:30 Uhr geht es los. Die Oropax in meinem abgespeckten Rucksack, der die Hälfte seines Ballastes in Puerto Natales verloren hat, haben sich ausgezahlt. Trotz leichtem Schlaf und 5-Mitschläfern bin ich fit für unsere erste, 9-stündige Wanderung. Ausgerüstet mit unsere Daypacks und einem Lunchpaket marschieren wir los. Drei Schichten Gewand an, zwei zusätzliche eingepackt. Es ist Wind angesagt. Die erste Stunde vergeht so schnell wie der Wind bläst. Als wir am Taleingang stehen, schaue ich mich um. Alles wirkt unecht: Die sanften, grünen Hügel, auf denen die Feuerbüsche rote Flecken hinterlassen. Die in der Sonne schimmernden, türkisen Seen. Die entfernten Berge mit ihren weißen Schneehauben. Die dunkelgrauen Felswände, an denen Wasserfälle in das Tal fallen. Die schwarzen kondore, die am strahlendblauen Himmel kreisen. Das wilde Flattern eines kleinen blauen Vogels holt meinen Blick aus der Ferne. Die Büsche auf denen er herumspringt, blühen in den buntesten Farben. Rot, Lila, Rosa, Orange, mit magentafarbenen Beeren und saftig grünen Blättern. Hinter mir wiehert es. Eine Reihe Pferde und ihre Cavalleros ziehen vorbei. Sie bringen Nahrungsmittel zu den entlegenen Camps. Nach 4 Stunden werden meine Füße schwerer und der Weg steiler. Mit jedem Schritt wird der Wind stärker. Ich stolpere und stütze mich auf einem der vielen riesigen Steinbrocken ab. „Weiter!“, denke ich und stemme mich gegen die nächste Windböe. Als ich zum nächsten Schritt ansetzen will, sehe ich plötzlich, dass der Steilhang vor mir endet und sich eine gerade Fläche vor mir erstreckt. Ich schaue auf und da stehen sie plötzlich: Die 3 Türme – die Torres. Steintürme, die sechsmal so hoch sind wie das Empire State Building. Vor ihnen glitzernd ein türkis-blauer See, der mich an die Augen meines Nomaden-Mannes erinnert, an den ich während dieser Wanderung immer wieder denken muss. Immer wieder verdecken Wolken die Spitzen der Türme und werfen die unterschiedlichsten Schatten auf den Bergsee. Wir setzen uns auf einen der am Seerand liegenden Felsbrocken und packen unsere Lunchbox aus. Wieder einmal ein Picknick, dass man schwer toppen kann.

U wie Uno.

„Schau mal!“, sagt Kathi zu mir. Ich wende meinen Blick nur ungern von meinen Uno-Karten ab, bin ich doch bei diesem Glücksspiel immer so unnötig ehrgeizig. Als ich durch die Fenster hinaus in den Garten des Camps schaue, grinsen uns drei Chilenen mit schiefen Baskenmützen und breiten Stoffgürteln mit eingehängten Messern an. Einer von ihnen hat lange Haare. Sie alle tragen Stiefel und ihre dunkle Haut ist ebenso staubig wie ihre Schuhe. Sie winken. Wir winken zurück und fangen an zu reden. Plötzlich setzen sie sich in Bewegung. Der Langhaarige drückt seine Zigarette aus. Kathi und ich schauen uns an. „Ich glaub, die wollen mitspielen!“, sagt Kathi, als plötzlich die Türe aufgeht und die drei Chilenen am Nebentisch Platz nehmen. Ich rümpfe die Nase. Wir schauen zu den drein, die uns immer noch hoffend auf eine Spieleinladung angrinsen. „Wollen wir?“, frage ich Kathi. „Ich hoffe, sie kennen die Regeln“, antwortet sie und lacht. Kathi hält die Uno-Karten in Richtung des Nachbartisches und ich versuche es mit einem „Quieres jugar?“. Drei Köpfe nicken und lösen eine Geruchswelle, die so riecht als würde eine ganze Horde Pferde über uns hinwegtraben, aus. Und dann lernen wir dank unseren Uno-Karten und bei einem großen Pint Cerveza Natales die chilenischen Gauchos Bruno, Jorge und Santiago kennen, die im Torres del Paine-Park Lebensmittel mit ihren Pferden kutschieren, verletzte Wanderer bergen, in ihrer Freizeit Folklore Musik machen und einen Instagram-Account voller Pferdefotos haben. Und als ich am Abend in mein Bett krieche, rieche ich nicht nur, sondern grinse auch wie ein Pferd. Denn: Wer hätte gedacht, dass Uno-Karten hier am Ende der Welt neue Freundschaften bescheren?

S wie Seen, Strände & schwere Rucksäcke.

Ich ziehe meinen Rucksack an mich. Gefühlte 10 Kilo liegen auf meinen Schulter. Es geht bergauf. „Ich will nicht mehr!“, schreit jeder Muskel meines Körpers. „Aus!“, schreit mein Hirn. Durchhalten, denke ich mir, denn ich weiß: In 10 Minuten hat sich mein Körper an die Last & das Gehen gewöhnt. Alles nur eine Sache des Kopfes, sage ich mir, und schaue anstatt auf den Steilhang vor mir, auf den türkisblauen See neben mir. Kein anderer Ausblick könnte einen besser ablenken als dieser: Das Wasser schimmert und kleine Wellen ziehen sich über den riesigen See, der unter uns liegt. Wir gehen weiter. Nach 4 Stunden kommen wir an einem kleinen Gestrüpp vorbei, an dem ein Weg zum See abzweigt. „Pause!“, entscheiden Kathi und ich simultan. Hinter den tiefgrünen Büschen liegt ein Strand, gesäumt mit schwarzen und weißen Steinen. Ich lasse mich und meinen schweren Rucksack auf den Boden sinken. Vor mir klatschen kleine, türkise Wellen an den Strand und der See wirkt unendlich. Unendlich groß. Unendlich blau. Immer wieder trägt der starke Wind Wasserwölkchen über die unruhige Fläche, als würde ein Riese Rauch über den See blasen. Am Ende des Sees winden sich rötliche Steinhügel, zugedeckt mit einer Decke aus saftigem Moos. In meinem Rücken spüre ich die Macht des riesigen Francés Gletschers, dessen Eisarm sich in das Britanica Tal zieht, welches mir morgen bewandern werden. Ich lehne mich an meinen Rucksack, strecke die nackten Füße in Richtung Wasser. Ich spüre die patagonische Sonne auf meinen Armen, spüre den Atem der Natur durch meine Haare streichen. Der Wind bläst mir ein paar Wassertropfen ins Gesicht. Doch es könnten auch Freudentränen sein, die ich mir hier am Ende der Welt aus dem Gesicht wische.

G wie Gletscher.

Ich bin froh, dass ich aus dem Zelt rauskomme und strecke meine Füße durch. Vor dem Zelt erinnert mich die halbleere Weinflasche an unseren gestrigen Abend mit Andrés und Francisco aus Portugal und mit James aus Alaska. Ich schüttle mich durch. Der Rucksack auf meinem Rücken fühlt sich federleicht an. Die grauen Wolken und der trommelnde Regen der Nacht sind verschwunden. Die gestrige, warme Dusche hat meinen erschöpften Beinen nach der schwer-beladenen 6 Stunden Wanderung gut getan. „Los geht’s“, sage ich zu Kathi und meinen Beinen. Vor uns liegen 4 Stunden zum Mirador Britanico. Wir überqueren Hängebrücken, hüpfen über riesige Steine, an denen kleine Gletscherbäche vorbeiziehen, tänzeln über Baumstämme. Nach zwei Stunden begegnet uns Cristobal aus Brasilien, mit dem wir am Tag davor ein Stück des Weges geteilt haben. „Almost there, ladies.“, motiviert er uns. Nach einem letzten steilen Anstieg stehen wir auf einmal am Ende des Weges. Am Ende des Tales. Am Ende der Welt. Ich drehe mich im Kreis und weiß, dass sich dieses Bild in jede meiner Gehirnwindungen brennen wird: Graue, spitze Berge mit weißen Wolkenmützen. Weiß und blau glitzernde Schneemassen, die sich in die Bergfalten legen und von denen immer wieder ein leises Grollen zu hören ist. Weite Wälder vor mir, in denen es zwitschert und raschelt. Ein türkiser See in der Ferne, dessen Farbe in den Augen brennt, so wunderschön und unwirklich. Grüne Hügel, kleine Inselchen im See, weite Flächen, auf denen graue Baumstämme wie Mikadostäbchen aus dem Boden ragen. Ich schließe die Augen. Ich spüre die Sonne, den Wind, höre das Knistern des Eises, das Rascheln der Wälder, das Rauschen der Wellen, das Zwitschern der Vögel. Und als ich die Augen wieder aufmache, weiß ich was alles hier ist: Die komprimierte Schönheit unserer Welt.

… und als ich am nächsten Morgen aufwache, war alles kein Traum. Sondern einfach nur Patagonien.

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Comments

  1. Conny says

    15. Dezember 2017 at 23:25

    sehr sehr toll zusammengefasst! Beim Lesen der Zeilen hatte ich glatt das Gefühl wieder dort zu sein! 🙂

    Antworten
  2. Irina says

    1. Februar 2018 at 8:01

    Super schön geschrieben, da bekommt man gleich #Fernweh oder zumindest #Wanderlust 😉

    Antworten

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Als kleine Nomadin bin ich überall zuhause. In meinen Reisegeschichten begleitet ihr mich auf meiner 7-monatigen Reise durch die Welt.

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