Der kleine 10-Sitzer hält und eine Hand winkt hinter dem Lenkrad hervor. „Aussteigen“, sage ich zur Nomaden-Schwester und wecke meine Beine aus ihrem 4-stündigen Tiefschlaf. Salento, unser nächster Stopp, soll ein liebes Dörfchen mitten im Kaffeedreieck von Kolumbien sein. Kaffee. Alleine bei dem Wort verziehen sich alle meine Geschmacksnerven und mein Hirn aktiviert den „Nichts-wie-weg“-Modus, seit ich in Südamerika bin. Löskaffee mit Milchpulver in Argentinien, braunes Wasser in Chile, bittere Brühe in Ecuador. Neuer Versuch? Salento! Als ich aus dem Bus steige, sind die Hoffnungen groß.
Zu viele Türen in Salento.
Ich schmeiße meinen Rucksack in die Ecke des Zimmers, wo er mit einem gewaltigen Donnerwetter auf dem Fliesenboden landet und drehe mich schnell zur Nomaden-Schwester um. „Jetzt?“, frage ich mit großen Augen. „Schon?“, fragt sie zurück. Ich nicke wie ein Wackeldackel auf einer Schotterstraße und ziehe die Nomaden-Schwester aus der Tür. Auf dem Platz vor dem Hotel lasse ich ihre Hand abrupt los. „Voll….“, ich lasse meinen Blick wandern: Eine kleine Kirche, auf deren Stufen drei alte Männer mit gestreiften Ponchos und Strohhüten sitzen, weiße Häuser mit roten, grünen, gelben oder blauen Türen, kleine Balkone, von denen Blumenampeln herunterhängen und hohe Palmen umzingeln uns. „Schön hier“, vollendet die Nomaden-Schwester den Satz. Ich verfalle in den Wackeldackel-Modus und angle mein Smartphone aus der Tasche. Das Foto der grün-weißen Türe reiht sich in der Galerie an das Foto der rot-gelben Türe. Direkt hinter dem Foto der blau-gelben Türe. Und der rosa-blauen Tür. Ich drehe mich um und erblicke bereits das nächste Objekt der Begierde, als sich plötzlich das Gesicht der Nomaden-Schwester auf das Handydisplay schiebt. Ich schaue auf. „Wollten wir nicht…“, sehe ich ihren Mund auf dem Display sagen. „Kaffee!“ Ich schiebe das Handy in die Jackentasche. „Wenn die hier auch noch guten Kaffee haben…“, sage ich, hacke mich bei der Nomaden-Schwester ein und ziehe sie in die Gassen von Salento.
El Cafetero.
Don Libardo grinst mich an und schnallt mir einen braunen Bastkorb um die Hüfte. Ich stelle meine Wasserflasche in den Korb. Er schüttelt beleidigt den Kopf. Reumütig ziehe ich die Wasserflasche wieder hoch und lasse sie in meinem Rucksack verschwinden. Der alte Mann mit dem faltigen, braunen Gesicht nickt und deutet mir und der Nomaden-Schwester ihm zu folgen. Einem Don widerspricht man nicht. Und so stampfen wir ihm nach und stehen nach nur wenigen Metern mitten in einem kleinen Wald. Andächtig und langsam schwenkt Don seinen Arm, fast so als würden wir in einer Kathedrale stehen. In einem melodischen Spanglisch beginnt er die Geschichte seiner kleinen Kaffeefarm und seiner Liebe zu Kaffee zu erzählen. Er erzählt, dass er seit über 40 Jahren organischen Kaffee herstellt, dass er ihn auswärts rösten und mahlen lässt, weil seine Finca zu klein ist und er nicht die notwendigen Maschinen hat. Dass Kolumbien das ideale Klima für den Kaffeeanbau hat, aber Mittelamerika den besseren Kaffee macht. Er erzählt, dass Kaffee mit Zitrone gegen Hangover hilft. Dass der Kaffeebaum durch einen Hirten entdeckt wurde, dessen Esel drei Tage nicht geschlafen haben, als sie die Früchte des Baumes gegessen haben. Er erzählt, dass der Großteil des in Kolumbien angebauten Kaffees exportiert wird. Wie in Chile der Wein. Wie in Ecuador das Obst. Vieles von dem was die südamerikanischen Länder produzieren, wird von Händlern in Geld umgesetzt. Was in den Ländern selbst zurückbleibt ist B-Ware. Plötzlich hält er inne. Und marschiert ganz auf Don in das Grün davon. „Sollen wir nach?“, fragt die Nomaden-Schwester. Ich zucke die Schulter, als es plötzlich wieder raschelt und eine Hand voll roter Früchte aus dem Wäldchen hervorschießt, die die wertvolle Bohne beherbergen, in meinen umgeschnallten Bastkorb wirft. „And now…“, Don grinst, „Coffee.“ Zwei Minuten später sitzen wir auf der Veranda der kleinen Finka und halten eine kleine Tasse von Don Libardos schwarzem Schatz in Händen. Langsam schließe ich die Augen und ziehe den Duft durch die Nase ein. Es riecht so wie zuhause, wenn ich noch im Bett liege und den Nomaden-Mann in der Küche höre. So wie bei der Nomaden-Mutter und dem Nomaden-Vater am Sonntag, wenn der Kuchen auf dem Tisch steht. Wie ein Besuch bei lieben Freunden. Oder der beste Kaffee Südamerikas.
Mit Willy zum Valley!
„Vamos.“ Der alte Mann deutet auf einen roten Jeep, auf dessen Ladefläche 6 Personen sitzen. Zwischen ihnen keine 5 Zentimeter Platz. Verwirrt schaue ich den Fahrer mit seinem Strohhut an. Er grinst, schiebt einen spanischen Satz nach und marschiert zum Fahrersitz. Die Nomaden-Schwester schaut mich an, während ich im Kopf den spanischen Satz umsortiere. Mit jedem weiteren Wort beginne ich meine Spanischkenntnisse zu hinterfragen. „Was hat er gesagt?“, höre ich die Nomaden-Schwester rufen. Ich senke meinen Kopf zur Stoßstange, die mit einer breiten Trittfläche ausgestattet ist. Der Wagen rollt an. Schnell greife ich nach der Hand der Nomaden-Schwester. „Aufspringen!“ Denn genau das hat er gesagt.
Der Wind weht mir durch die Haare und ein paar verlorene Regentropfen verirren sich auf meinem Gesicht, während wir durch die grüne, dschungelartige Landschaft hinter Salento fahren. Neben den Straßen hängen Lianen von den Bäumen und riesige Blätterdächer überschatten die holprige Straße. Wir überholen ein Pferd und seinen Reiter. Er grinst uns an und hebt ganz gentleman-like seinen Strohhut. Ich grinse zurück und erinnere mich daran, dass mir oft gesagt wurde, dass die Kolumbianer die freundlichsten Südamerikaner sein sollen, als der Jeep plötzlich bremst. Die zerzauste Nomaden-Schwester und ich springen von der Stoßstange und 6 andere, die mir bei der Fahrt aufgrund der vielen Ablenkungen gar nicht aufgefallen sind, krabbeln aus dem Wagen. „We all have the same way?“, sagt ein großer Mann mit langen Haaren in einem charmanten Sing-Sang-Englisch. Neben ihm steht eine freundlich lächelnde Frau mit dunklen, langen Haaren. 6 Köpfe nicken – 6 Münder grinsen. So einfach geht es, denke ich mir, und aus zwei wird plötzlich acht. Und so wandern acht Fremde los: Bryce und Sandra aus Kanada, Shalaka und Rena aus Australien, Sam aus Frankreich, Filip aus Kroatien, die Nomaden-Schwester und ich.
Ich halte die Luft an und blicke in die Ferne. Ich bin mir nicht sicher ob meine Füße vom langem und steilen Bergaufgehen zittern oder weil ich es gerade nicht fassen kann, wo ich hier sitze. Erst jetzt fällt mir auf, dass es hier nur zwei Farben gibt: Grün wie die Erde, die Hügel, die Bäume und weiß wie der Himmel, die Wolken, der Nebel, der sich an den Bergkämmen entlangzieht. Meine Augen wandern über die faltigen Hügel, die Wachspalmen, die wie überdimensionale Zahnstocher aus der Erde ragen, zum dschungelartigen Wald auf der anderen Seite des Tales, zu dem Wasserfall, der aus dem Grün entspringt, weiter zu dem ewigen grünen Flächen am Ende des Tales. Das ist Kolumbien, wie man es auf all den schönen Instagram-Profilen vieler Travelblogger sieht, in Reisedokumentationen oder Werbebroschüren. Ich atme tief ein und schieße ein geistiges Polaroid von diesem Moment und spüre, wie eine Welle absoluten Glückes über mein Herz schwappt. Glück, dass alles sehen zu dürfen. Glück, diese Reise machen zu dürfen. Glück, meine Schwester an meiner Seite zu haben. Glück, in einer Welt wie der diesen zu Leben.
Boom, Peng, Tejo!
Es knallt und ich zucke zusammen. Tausende Muskeln in meinem Körper spannen sich an. Ich klammere mich an die Bierflasche, als plötzlich ein grauer Schwall Luft über den Tisch weht. Er riecht nach Krieg. Nach Explosion. Nach Gefahr. Wieder knallt es. Diesmal kommt das Geräusch von oben und klingt metallener. Der graue Rauch bleibt aus. Nur ein Blitz, ermahne ich mich. Bisher hat es noch jede Nacht hier in Salento geregnet, und geblitzt. Ich lockere den Griff um den Hals der Bierflasche und schaue mich um: In der großen Halle mit dem Blechdach befinden sich zu beiden Seiten mit feuchtem Ton aufgeschüttete Hügel, auf denen mit weißen Dreiecken ein Kreis gelegt ist. Schmale Holzwände trennen die feuchten Tonhügel, schmale Holzbänke die Bahnen davor. Plötzlich unterbricht ein Zischen meine Gedankenbahn, während eine kleine, steinerne Kugel auf der Bahn neben mir vorbeifliegt. Mit einem leisen „Blopp“ wird der Handflächen-große Steinball von der feuchten Tonerde verschluckt. Der stämmige Kolumbianer neben mir schüttelt seine Wurfhand und beginnt zu fluchen. Sein Nachfolger, ein noch stämmigerer Kerl, macht sich bereit für seinen Einsatz. Langsam lässt er die Hand sinken, in der der schwere Steinball liegt und beginnt ihn vor und kurz zurück zu schaukeln, wie ein Baby in der Wiege. Ich schaue wartend auf seine Hand, wann das Geschoss sich seinen Weg aus seinen Finger bahnt. Beim dritten Schwung entflieht die Kugel seiner Hand und rast in hohem Bogen auf den Tonberg zu, wie eine Armee auf ihren Gegner. Ein perfekter Angriff. Der Kolumbianer klatscht entzückt in die Hände. Als die Kugel ihren Sinkflug beginnt, weiß ich was kommt. Der Kolumbianer lacht. Auch er weiß es. Denn als die Kugel mitten auf dem Kreis aus weißen – mit Kanonenpulver gespickten – Dreiecken landet, ist der Krieg gewonnen, das Pulver verschossen und der Sieg da. In meinen Finger beginnt es zu zucken, als ich plötzlich eine Bryce‘ bekannte Stimme aus den grauen Rauchwolken höre. „Ladies and Gentlemen, ready to play Tejo?“
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