Es ist 6 Uhr 30 und ich kann von meinem hohen Schreibplätzchen den Chinesen bei ihren morgendlichen Laufrunden zusehen: Im Grünstreifen gegenüber windet sich eine rote Bahn zwischen den Bäumen. Ganz gesittet sehe ich sie von oben laufen oder gemütlich gehen. Wie eine Ameisenstraße im Wald. Keiner verlässt den Grünstreifen. Wer Lust hat auf einem „Waldboden“ zu laufen, der kann schließlich die eigene „Waldbodenstrecke“ nutzen. Auf der breiten Alley vor dem Park zählt Geschwindigkeit und drinnen, da schalten die Einheimischen einen Gang zurück.
Ich denke an den Himmelstempelpark: Die Tempelanlage des Parks ist faszinierend, noch viel faszinierender ist aber ist, wie sie Chinesen nutzen. Gedanklich spaziere ich noch einmal durch den mehrere Hektar großen Park, höre die Trompetenklänge des alten Mannes, der mit geschlossenen Augen sein Musikinstrument spielt. Ich beobachte die alten Frauen, die ihre innere Ruhe bei Qi Gong Übungen suchen und ihre Hände in den Himmel strecken. Ich schlendere an einer Gruppe Menschen vorbei, die einen kleinen befederten Ball mit den Füßen durch die Luft kicken und „Jianzi“ spielen und während daneben ein 5-Jähriger auf einem riesen Smartphone herumtippt. Auch das ist die Vielfalt Pekings.Die Sonne, die durch die Fenster meines Schreibplatzes scheint, bringt mich zum blinzeln. Ich kann es fast nicht glauben, dass man aus dieser Stadt Bilder von grau verhangenen, smoggigen Straßen sieht. Seit ich in Peking bin, zeigt sich die Stadt von ihrer schönsten Seite. Ich blinzle in die Sonne und lehne mich zurück. Es ist Zeit mein Schreibplätzchen zu verlassen und mich, wie kann es auch anders sein, auf mein Rad zu schwingen.
Beim Glocken- und Trommelturm stelle ich mein Rad ab und steige die Steilen Stufen hoch, um mir einen Überblick über diese riesige Stadt zu verschaffen. „Caution, the high tower and steep stairs“ lese ich am Stiegenaufgang und muss lachen. Bei Übersetzungen wie dieser oder auch grammatikalischen Highlights wie „Super for people who has exquisite taste!“ Hat man immer etwas zu Schmunzeln. Oben angekommen schaue ich wieder hinunter auf diese Stadt: Ich schaue auf die blauen Dächer der Hutongs, sehe die Mauern der Verbotenen Stadt, den Kohlehügel und die weiße Pagode im Beihai Park. Hinter mir beginnt die Trommelvorführung. Langsam sinke ich auf den kalten Steinboden im Trommelturm: Ich spüre das Vibrieren der dickhäutigen, breiten Trommeln, die gerade mit Holzstäben geschlagen werden. Ich spüre den Takt dieser Stadt – und mein Herz schlägt bereits mit.
Auch beim Eingang der Verbotenen fühle ich das schnelle Tempo: Ein Horde chinesischer Touristen schiebt mich Richtung Eingang. Von allen Seite höre ich lautes Gejammere. Die alte Chinesin, die mehr wie ein japanischer Faltenhund aussieht, trägt einen orangenen Hut und wie auch ihre Begleiter folgt sie wie ein Lemming einer orang-fähnchen-tragenden Fremdenführerin. Während ich noch verwirrt in die Menschenmasse blicke, die sich vor mir ausbreitet, reihen sich die 40 Chinesen in die Schlange zum Security Check ein – direkt hinter ihrer Fähnchenfrau. Alle anderen Schlangen sind fast leer – nur die Orange-Kappen stehen in Reih‘ und Glied. In der verbotenen Stadt, einer weitläufigen Palastanlage, sind sie dann weniger gesittet: Vor den Eingängen zu den prunkvollen Hallen fasse ich den ein oder anderen Ellbogenhieb aus, werde fast mit einem Sonnenschirm erstochen und werde, mit einem Selfie Stick natürlich, gar nicht so heimlich fotographiert. (Ja, so schaut eine blonde Europäerin aus!)
Ich beschließe den Trubel der verbotenen Stadt hinter mir zu lassen und fahre an den Quianhai See. In einem Café am nördlichsten Rand des Sees bestelle ich mir eine Cocktail, der wie alles hier sehr süß ist. Ich schließe die Augen und sinke in das gepolsterte Sofa: Ich höre (fast) nichts – kein Gehupe, keine lauten Chinesen, die mit ihren Selfie Stick um sich herumschlagen oder ins Telefon jammern. Nur eine leise flüsternde chinesische Popmusikern tönt aus dem Radio des Cafés hinter mir. Ein paar Angler am Seeufer, badende Chinesinnen und Radfahrer, die den See umrunden. Peking ist Ruhe und Lärm zugleich.
Aus mit der Ruhe ist es als mein Magen beschließt mich mit einem lauten Knurren an die Mittagszeit zu erinnern. Also schiebe ich mein Rad in die Hutongs nahe dem Glockenturm und suche mir eines der Restaurants aus. „Ene mene mu…“ – ich marschiere ins „UFO“. Überall Bildschirme aus denen mich chinesische Popsternchen antanzen. Am ersten Tisch sehe ich einen Hot Pot stehen und beschließe trotz grauenhafter Musik zu bleiben. Der Kellner freut sich sichtlich – nicht – als er merkt, dass ich kein Wort chinesisch spreche und er kaum ein Wort Englisch. Zum ersten Mal in meinem Leben freue ich mich über die Bilder in der Speisekarte. Ich tippe auf die Bilder mit dem großen Topf, der Nudeleinlage und etwas, dass wie Fleisch aussieht. Als der Kellner mit einem großen Topf mit Suppe und Einlagen wie Rind, Nudeln, Kraut, Fischfrittaten und Ei zurückkommt, freue ich mich, dass ich diese Herausforderung bestanden habe. Ich drehe die Flamme des Pots hoch und bringe die Suppe zum köcheln. Es schmeckt so wunderbar, dass ich sogar den blond gefärbten Jünglich auf dem Bildschirm neben mir vergesse, der mir seine Popballade ins Ohr jault.
Ähnlich laut geht es am Fake-Market, unweit des Himmelstempelparks, zu. Ich schlendere durch die Verkaufsstände. Eine junge Chinesin neben mir murmelt mir verschwörerisch “ new iphone?“ zu. Ich komme aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus, denn am nächsten Stand soll ich „bag, wallet?“ kaufen und wieder am nächsten gibt’s „t-shirt? shoes? wanna try?“. Ich sehe einen Rucksacke und zumpfe an meiner Handtasche herum. Ein Rucksack wäre nicht schlecht. Ein Blick genügt und die Standwächterin steht neben mir. „Make you good price“, sagt sie während sie die „950“ in ihren Taschenrechner klopf. Hier ist Handeln angesagt, also tippe ich „100“. Sie maltretiert ihren Taschenrechner. 750 Yuan. Ich schüttle den Kopf. „Too much. Thank you.“ Energisch stellt sie sich mir in den Weg. „Make you good price“, ihre Augen schauen streng. Mir wird mulmig. „How much?“ „100.“, wiederhole ich. „No, No.“ schnaubt sie, wie ein Walross. Ich sehe wie sie die 450 in den Taschenrechner klopft. Ich mache einen Schritt nach vorne, als plötzlich ihre Hand nach meiner ausfährt. Sie packt mich am Unterarm. „Good Price!“, knurrt sie. „100.“ tippe ich in den Taschenrechner, den sie mir vor die Nase hält. „Good.“ meint sie – und greift nach dem Rucksack. Diese 13 Euro hat sie sich hart verdient.
Zuhause spüre ich jeden Muskel meines Körpers. Der Tag war intensiv und ich bin müde. Laut meinen Gastgebern genau der richtige Tag für eine traditionell chinesische Massage. Als ich im dunklen Raum liege und die Masseurin meine Füße durchknetet ist sie plötzlich wieder da: die Ruhe Pekings. Nicht nur außen – sondern auch in mir drin.
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Schon zu lesen, man fühlt den Trube und das treibenl der Stadt! Super geschrieben:-)
Ja, es ist auch für mich wieder jedes Mal wie eine Zeitmaschine 🙂 Jedes Mal wenn ich den Bericht wieder lese, stehe ich mit dem Rad gedanklichen auf einer der riesigen Kreuzungen in Peking. Es hupt um mich herum, Autos fahren vorbei und alles blinkt und leuchtet grell 🙂 Peking Lifestyle!
Super toll geschrieben Kerstin, ich reise in Gedanken mit.
Wünsch dir noch eine wundervolle Zeit.
Bussi Aunti
Danke, Aunti! 🙂 Schön, dass du mitliest! Bis bald, in Wien!